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Rundbrief von Padré Jose Neuenhofer - Mai 2009

Posted by Administrator (ronzo) on 06/06/2009
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La Paz, am 01. Mai 2009

Liebe Freunde und Wohltäter!

In Südamerika wird der 15. Geburtstag eines Menschen groß gefeiert. Auch in Bolivien ist das ein Fest – tief verwurzelt in der Kultur und Tradition des Volkes.

Im Mai dieses Jahres jubilierte unsere Fondatión Arco Iris. Sie besteht und arbeitet dann seit 15 Jahren an der Seite und als Helfer unzähliger Gefängnis-, Heim- und Straßenkinder in unserer Millionenstadt La Paz, im ärmsten Land Südamerikas.

Die bolivianische Post will eine Sondermarke herausgeben, die ich Euch vielleicht schon auf diesen Briefumschlag kleben kann. Wir planen mehrere Aktivitäten und möchten auch bei Firmen und Geschäftsleuten in La Paz um finanzielle Unterstützung bitten. Im vergangenen Jahr 2008 hatten wir in unseren 7 Heimen, in den vielen Projekten und in der Lehrlingsausbildung Gesamtausgaben von 799.519,21 US Dollar (das sind ungefähr 580.000,- Euro). Da wir in Bolivien in diesem Jahr eine gesetzlich vorgeschriebene Gehaltserhöhung von 12% haben, sind wir besorgt um unsere finanzielle Zukunft, zumal wir vom hiesigen Staat keine Hilfe bekommen. Aber ich möchte Euch nichts vorjammern, zumal ich fest auf Eure Unterstützung vertraue.

In meinem Frühjahrs-Rundbrief erzähle ich Euch von zwei Kindern, die stellvertretend für viele Hundert stehen, um Euch so Anteil nehmen zu lassen an unserer Arbeit.

Ruben hat mit 11 Jahren das Gesicht und die Erfahrung eines Alten, und seine Augen sind voller Misstrauen. Die Straße war sein Lehrmeister und sein Zuhause. Hier hat er gelebt und als Schuhputzer und Lastenträger auf dem Markt seit seiner frühen Kindheit gearbeitet. Geschlafen und gefroren hat er nachts in Hauseingängen und unter Brücken. Nie hat er eine Schule betreten. Seine Eltern kennt er nicht. Wie so viele arme Eltern, die ihre Kinder nicht ernähren können, haben sie Ruben ausgesetzt. Er kam in ein Waisenhaus, wo er mit etwa 6 Jahren ausgebrochen ist. Er wurde ein Straßenkind. Verschiedenen Jugendbanden hat er angehört. Und zweimal war er bereits im Gefängnis. Liebe und Zuneigung sind ihm fremd.

Nach einem Selbstmordversuch kam Ruben in unser Jungenheim. Er hatte nichts als das nackte Leben. Die ersten Tage blieb er stumm und wollte nichts essen. Er schlug mit dem Kopf an die Wand und kratzte sich die Haut auf. Dann fand er Freunde, und die Hausatmosphäre tat ihm gut. Heute ist er ein guter Schüler, spielt ausgezeichnet Fußball, und alle finden ihn sympathisch.

Ruben ist ein Kind unter Tausenden, die ungeliebt auf der Straße aufgewachsen sind. Ohne menschliche Zuneigung und Freundschaft ist kein Leben lebenswert. Deshalb bemühen wir und, in unseren 7 Häusern und den verschiedenen Projekten den Kindern und Jugendlichen nicht nur das tägliche Brot zu geben, sondern auch und vor allem „ das tägliche Brot für die Seele“: Liebe und Lebensmut, Selbstvertrauen und Freude. Zehn Psycholog(inn)en arbeiten hauptberuflich in unserer Fondatión Arco Iris, um die Wunden der Vergangenheit unserer Kinder nach Möglichkeit zu heilen. Eine schöne, aber auch sehr schwere Aufgabe.

Noch ein anderes Beispiel aus meinem Alltag möchte ich Euch erzählen. Eines Abends mache ich noch spät einen Krankenbesuch in unserem Hospital Arco Iris. Leise gehe ich über den menschenleeren Flur im 3. Stock, als ich plötzlich Schritte hinter mir höre. Ich drehe mich um und entdecke im Schlafanzug Julia, ein 9-jähriges Straßenkind, das in den nächsten Tagen operiert werden soll. In der Hand trug sie eine kleine Gummipuppe, die sie im Müll gefunden hatte und der beide Arme fehlten. Das Mädchen blickt mich hilfesuchend an und sagt: „Padre José, sag bitte irgendwem, dass ich hier bin!“ Bis heute klingt diese Bitte von Julia in meinem Herzen nach. Sie lässt mich ahnen, wie einsam und verlassen sich das Mädchen fühlen musste – zumal in seiner Krankheit und vor der Operation. Aus seinen Worten spricht die tiefe Sehnsucht, dass wenigstens ein Mensch um sie weiß, dass sie da ist und dass es sie überhaupt gibt. Vielleicht wollte Julia sich selbst vergewissern und einfach sagen: ich fühle mich verlassen und vergessen, ich habe keine Eltern und niemanden, der mich liebt. Wenn wenigstens einer von mir weiß, dann gibt es mich, und dann bin ich doch wer…

Weil so viele Menschen und Straßenkinder sich verlassen, übersehen und ungeliebt wissen und fühlen, deshalb glauben sie sich auch von Gott verlassen. Normalerweise fällt die Liebe Gottes ja nicht einfach vom Himmel, sondern sie erreicht und beschenkt uns durch die Liebe von Menschen. Deshalb unser Bemühen, unzählige Heim- und Straßenkinder menschliche Liebe erfahren zu lassen, damit sie an die Liebe Gottes glauben lernen können.

Zum Schluss bedanke ich mich bei Euch für die vielfältige Hilfe zu Gunsten der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Mit frohen Grüßen aus Bolivien

Euer

Josef M. Neuenhofer


 

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Die im Brief angesprochene Briefmarke:

Last changed: 06/06/2009 at 12:58

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